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2021_05

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4 Dorfspiegel

4 Dorfspiegel Wangen-Brüttisellen Kurier Nr. 5 4.2.2021 Serie: Freiwilligen-Awards (2/2) Früher gab es genügend Naturgärten Die Anmeldung zu den nächsten Freiwilligen-Awards läuft. Grund, auch diese Woche zurück zu blicken: Für sein Engagement in der Gemeinde hat Ruedi Wyder aus Wangen den Lifetime-Award 2019 für Freiwilligenarbeit erhalten. Interview: Leo Niessner Kurier: Herr Wyder, momentan ist es wegen der Corona-Pandemieverordnungen zwar nicht möglich, doch Anfang Herbst waren Sie unter anderem mit den Frauen Wangen-Brüttisellen wieder auf Neophytenwanderung. Wie läuft ein solcher Halbtag ab? Ruedi Wyder: Normalerweise besammeln wir uns in einem Gebiet, in dem es viele Neophyten hat. Das sind eingewanderte Pfanzen, welche die eigene Fauna bedrohen. Das Einjährige Berufkraut (Erigeron annuus) gehört in diese Kategorie, und dessen Beseitigung hat auf unserem Gemeindegebiet Vorrang. Es bedroht die einheimische Flora. Wo findet man es vor allem? Auf den Naturwiesen und Ökoflächen und an Weg- und Strassenrändern der Gemeinde etwa. Deshalb haben wir uns bei der letzten Neophytenwanderung im Juli auch auf einen Streifzug entlang der Höhenzüge begeben, um es einzudämmen. Wangen-Brüttisellen zahlt zu deren Erhalt etwas. Ich hatte unter anderem einen Geldbetrag zur Verfügung, um Stecher zu kaufen, mit denen man die Pflanzen lösen kann. Ein solcher Stecher ist unerlässlich – ich habe meinen übrigens bereits vor 20 Jahren gekauft, um Blacken auszustechen, und er ist noch immer im Einsatz. Lediglich die Spitzen sind im Laufe der Zeit durch den Gebrauch um fünf Zentimeter kürzer geworden. Verteilen Sie diese Werkzeuge zu Beginn der Wanderungen? Ja, und natürlich gibt es eine Einführung in deren Handhabung – aber auch ins Thema Neophyten generell. Vielen ist die Thematik nämlich nicht bewusst. Und natürlich muss man den Teilnehmerinnen und Teilnehmern auch zeigen, wie man das Berufkraut erkennt. Danach ziehen wir jeweils los, mit dem Ziel, die Wiesen und Wegränder von den Neophyten zu säubern. Das tönt nach harter Arbeit. (Lacht) Es gibt natürlich einiges zu tun. Doch es ist auch wichtig, dass man miteinander reden kann – trotz des Corona-bedingten Abstandes, den es zurzeit einzuhalten gilt. Das ganze soll ja auch ein Erlebnis sein, das Spass macht. Aus diesem Grund plane ich die Tage auch so, dass ein Wanderteil eingebaut ist, etwa zum Schulhaus Oberwiesen. Dort gibt es wunderbare Biodiversität zu bestaunen. Der dortige Hauswart hat zudem vorbildlich alles Berufkraut eliminiert, sogar auf den Flachdächern. Welchen Wert legt die Gemeinde auf die Biodiversität auf und um öffentliche Gebäude? In der Gemeinde müssen wir mit gutem Beispiel vorangehen und dafür sorgen, dass alle Gemeindeliegenschaften neophytenfrei und mit Biodiversität aufgewertet werden. Auf diesen Arealen sollen, wo es Sinn macht, Naturwiesen gedeihen können. Bei Spielwiesen eignet sich ganz klar der Rasen. Ungenutzte Grünflächen sollen aber in Form von Natur- oder Blüemliwiesen zur Förderung der Biodiversität genutzt werden. Das kann und soll auch auf den unmotiviert herumliegenden Verengungsflächen auf Quartierstrassen praktiziert werden. Leisten Ihre Neophytenwanderungen auch Aufklärungsarbeit? Auf jeden Fall. Denn es kommt immer wieder vor, dass Leute merken, dass auf ihren Wiesen das Berufkraut wächst. Statt es auszustechen, mähen sie dann gleich die ganze Wiese ab. Dadurch erhält man Rasenflächen an Orten, an denen eigentlich gar keine sein sollten. Damit ist die ganze Biodiversität natürlich weg. Aus diesem Grund finde ich es wichtig, dass die Leute wissen, wie diese Neophyten aussehen und wie man sie beseitigt. Ergeben sich da beim Znüni jeweils Fachgespräche? Natürlich haben wir da Zeit zum Diskutieren. Das gilt auch für die «Aktion Läbhag» des Naturschutzvereins, die ich begleite. Die Gemeinde leistet da zum Beispiel einen finanziellen Zustupf in die Kasse fürs Znüni. Das gesellige Beisammensein gehört wie gesagt zu einem solchen Tag. Mitunter machen wir auch eine Wanderung zu mir hinauf, auf der die Wegränder und Ökowiesen sauber gemacht werden. Im Garten gibt es dann einen Abschlusstrunk. Auf Neophytenwanderung: Ruedi Wyder ist mit Freiwilligen in den Wiesen und Feldern Woher stammt Ihre Faszination für die Natur? Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen, am Berg 1 in Wangen. Schon als Kleinkind war man da automatisch mittendrin. Denn eine «Kinderhüeti» gab es nicht. Stattdessen haben wir in der Natur gespielt, Hütten gebaut und Tiere beobachtet. Welche Veränderungen haben Sie in der Natur auf Gemeindegebiet beobachtet? Das Dorf hat sich merklich verändert in all den Jahren. Früher gab es genügend Natur- und Obstgärten. Verschwunden sind vor allem all die Obstgärten an den Hängen rund um die Dörfer. Welche Erinnerungen haben Sie an frühere Zeiten? Mein Vater erzählte mir, wie er früher mit der Sense mähte. Das habe ich zwar nicht miterlebt. Doch ich merkte, wie alles immer schneller und produktiver sein sollte. Irgendwann kamen die Maschinen auf, mit denen man zum Beispiel sehr rasch Siloballen herstellen konnte. Allerdings geht die Biodiversität, die meinem Vater immer wichtig war, durch die zunehmende Mechanisierung zurück. Wurden damals die Grundsteine für Ihr jetziges Amt als Naturschutzbeauftragter von Wangen- Brüttisellen gelegt? Irgendwann beschloss die Gemeinde, ein Inventar der Ökowiesen aufzunehmen. Es war ihr wichtig, diese zu erhalten. Mein Vorgänger Peter Bringolf war 18 Jahre Naturschutzbeauftragter, als ich 2010 seinen Job übernahm. Er sagte mir, ich müsse das machen (lacht). Dann hat man mich gewählt. Woher kannten Sie sich? In der Gemeinde gab es zwischen 1985 und 1992 eine Umweltschutzkommission. Da war ich dabei, zusammen mit Peter Bringolf. Aus Kostengründen wurde das Gremium aber aufgelöst, und man entschied sich dafür, mit einem Naturschutzbeauftragten zu arbeiten. Ich war in dieser Zeit schon tätig, den Gitterrost in der Gemeinde auszurotten, mit dem Ziel, etwa Birnenbäume von diesem Pilz zu befreien und die Schäden in der Gemeinde klein zu halten. Was ist seither geschehen? Seit zehn Jahren habe ich das Amt des Naturschutzbeauftragten inne, in einem kleinen Pensum von Anfangs rund 30 und heute 50 Stunden pro Jahr, wegen den invasiven Neophyten. Es ist eine spannende Tätigkeit. War diese Form der Landwirtschaft schon immer ein Traum von Ihnen? Ich habe 1992 den elterlichen Hof übernommen und 2000 auf Bio umgestellt. Ich bin so aufgewachsen, und für mich hat der Bezug zur biologischen Landwirtschaft nicht

Kurier Nr. 5 4.2.2021 Dorfspiegel Wangen-Brüttisellen 5 in Wangen-Brüttisellen unterwegs. (Fotos zvg) mit wirtschaftlichem Denken zu tun. Es ist eine Einstellung. Meine Eltern haben mir die Naturnähe vorgelebt. Mein Vater wollte nie ein riesiges Einkommen erwirtschaften. Ihm war es wichtiger, dem Land Sorge zu tragen. Wie reagierte die Bevölkerung auf diese Einstellung? Man wurde dafür einerseits belächelt, andererseits aber auch bewundert. Denn diese Form der Landwirtschaft, in der sehr viel Handarbeit anfällt, erforderte viel Geduld und Ausdauer. Damals lernte ich, dass zur Biodiversität auch das gesamtheitliche Denken gehört. Eigentlich bin ich ja gelernter Schreiner. Ich habe mich nach der Lehre rasch selbstständig gemacht. Und dennoch hatten Sie Zeit für die Landwirtschaft? Ja, denn ich hatte vor allem am Anfang nicht immer Aufträge. In diesen Momenten half ich zuhause auf dem Hof aus. Dabei war ich auch für die Wartung der Maschinen zuständig und lernte viel über die Technik. Meinen Eltern waren sie eher suspekt. 1992 übernahm ich dann den Hof, im Einvernehmen mit den Eltern und meinen drei Geschwistern und baute ihn um. Ich verwende zwar heute Maschinen, aber im Einklang mit den Werten eines Biobauers. Ich habe mir ein eigenes Paradies erschaffen, wenn Sie so wollen. Global gesehen sind dunkle Wolken über dem Paradies aufgezogen, wenn man etwa das Insektensterben betrachtet. Das lässt sich auch in Wangen beobachten, seit langem. Schon vor zehn Jahren merkte ich, dass ich beim Auflesen der Äpfel nicht gross aufpassen musste, von Wespen oder anderen Insekten gestochen zu werden. Auch Mücken hat es auch nicht mehr so viel wie früher. Aber auch den Rückgang der Schwalben habe ich mitbekommen. Dennoch, die Natur wird nicht untergehen. Der Mensch irgendwann vielleicht schon. Die Natur wird ihn in irgendeiner Form überdauern. Ist es denkbar, dass der Mensch durch die Corona-Pandemie zum Nachdenken angeregt wird? Ich glaube schon, dass viele die Natur vor ihrer Haustüre oder zumindest in der Umgebung neu entdecken. Das macht sich an den viele Spaziergängern bemerkbar, denen ich bei uns oben begegne. Manchmal stellen sie leider ihre Autos an den dümmsten Orten ab. Aber ich scheuche sie dann jeweils nicht weg, sondern bitte sie, anders zu parkieren. Dabei ergeben sich mitunter spannende Gespräche. Kurze Pause nach getaner Arbeit in der Natur. Andere Gemeinden setzen Ranger ein, um das korrekte Verhalten der Menschen in der Natur zu gewährleisten. Man muss sich halt auch die Zeit nehmen, die Leute aufzuklären. Immer wieder kommt es vor, dass zum Beispiel ältere Menschen durch die Büsche spazieren, wenn ich am Holzen bin. Sie sind dann dankbar, dass sie keine Standpauke erhalten. Dabei wurde mir aber auch bewusst, dass viele Angst haben, von jüngeren Menschen kritisiert zu werden, weil sie sich aus dem Haus trauen. Deshalb meiden einige Senioren die Spazierwege. Zur Auszeichnung: Ruedi Wyder erhielt den Lifetime-Award 2019 für Freiwilligenarbeit für sein langjähriges Engagement bei Veranstaltungen des Kultur- Kreises, insbesondere beim Adventskalender, für sein Engagement bei der Chilbi Wangen und im Sportclub Wangen (als ehemaliger. Präsident sowie fürs Engagement für regionalen und nationalen OL, Mithilfe beim Natur- und Vogelschutzverein und in der Freizyti.

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