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2021_02

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2 Dorfspiegel

2 Dorfspiegel Wangen-Brüttisellen Kurier Nr. 2 14.1.2021 Neujahrsinterview «2020 war ein sehr spezielles Jahr mit vielen Einschnitten» Plötzlich war alles anders: Schutzmassnahmen mussten her, die Planungssicherheit war weg, der Blick in die Zukunft ungewiss. Doch Marlis Dürst, Gemeindepräsidentin von Wangen-Brüttisellen, ist optimistisch. Interview: Leo Niessner Frau Dürst, was werden Sie Ihren Enkeln später einmal über das Jahr 2020 erzählen? Marlis Dürst: Dass es ein sehr spezielles Jahr war, mit vielen Einschnitten. Ein Jahr, in dem vieles anders lief, als wir es uns gewohnt sind. Für mich persönlich war es ein anstrengendes Jahr, in dem ich flexibel sein musste, wie sonst nur selten. Gerade zu Beginn des Lockdowns wusste man nie, was morgen ist. Man wartete fast täglich auf die Mitteilungen des Bundesrats oder des Regierungsrats und, ob man in der Folge in der Gemeinde wieder neue Massnahmen ergreifen muss. Man konnte die Lage einfach nicht einschätzen. Gerade in Krisenzeiten stehen die Behörden unter besonders genauer Beobachtung der Bevölkerung. Haben Sie diesen Druck als Gemeindepräsidentin gespürt? Nicht von der Bevölkerung. Ich habe ihn in dem Sinne wahrgenommen, dass die Verantwortung generell zugenommen hat. Wir haben einen Krisenstab ins Leben gerufen. Wir mussten Entscheidungen treffen – zum Glück war ich nicht allein für diese verantwortlich. Wie der Bundes- und Regierungsrat auf nationaler und kantonaler Ebene mussten wir auf Gemeindeebene Entscheidungen fällen und dafür sorgen, dass wir diese korrekt umsetzen. Was denken Sie über die Kommunikation des Bundesrats, die in der Kritik steht? Dass es nicht einfach würde, war uns bewusst. Daher beschlossen wir, jeweils abzuwarten, bis die neue Medienmitteilung des Bundesrats vorliegt, und erst dann Entscheidungen zu treffen. In einer solchen Krisensituation muss man akzeptieren, dass eine Stelle die Führung übernimmt. Wir hielten uns an die Weisungen des Bundesrats und des Regierungsrats und setzten sie auf Gemeindeebene um. Gab es Momente, in denen Sie dabei an Ihre Grenzen stiessen? Vielleicht manchmal auf persönlicher Ebene, wenn die Zeit knapp wurde. Denn man musste all die Weisungen lesen, sie mit den anderen Gremien absprechen und die Umsetzung planen – das war sehr aufwändig. Wie haben Sie die Situation privat aufgenommen? Um mich persönlich hatte ich keine Angst, aber wie alle musste ich mein Leben gezwungenermassen umkrempeln. Normalerweise kann ich vieles planen. Das ging plötzlich nicht mehr. Ich habe vor der Pandemie und der ungewissen Entwicklung grossen Respekt, vor allem hinsichtlich der Gesundheit der Bevölkerung und eines funktionierenden Gesundheitssystems. Wie haben Sie die Bevölkerung in Wangen-Brüttisellen in der Krise bisher wahrgenommen? Dass sie sich weitgehend vorbildlich an die Regeln gehalten hat. Ich habe kaum Widerstand erlebt. Auch von der Polizei habe ich nur von ganz wenigen Situationen gehört, in der sie eingreifen musste. Gemeindeversammlung: Finanzdebatte in Wangen-Brüttisellen. (Foto zvg) Mit welchen Gefühlen blicken Sie in die Zukunft? Da ich ein positiv denkender Mensch bin, optimistisch. Aber es muss einem bewusst sein, dass die Situation nicht so schnell wieder sein wird wie vor der Pandemie – falls sich diese Normalität überhaupt je wieder einstellt. Man wird lernen müssen, mit der Situation umzugehen. Ich hoffe wie viele, dass die Impfung eine Verbesserung bringen wird. Von der gesundheitlichen Situation her kann ich mir gut vorstellen, dass es in absehbarer Zeit wieder einmal besser wird. Wie es hingegen in wirtschaftlicher Hinsicht aussieht, ist eine andere Frage. Das leitet uns zum nächsten Thema über. An der Gemeindeversammlung im Dezember wurde beschlossen, die Steuern auf 101 Prozent zu erhöhen. Was für ein Finanzjahr liegt in der Gemeinde hinter uns? Wenn ich rein die Rechnung betrachte, die uns erwartet, erwarte ich kein schlechteres Ergebnis als budgetiert – entgegen aller Prognosen. Das ist auf bessere Erträge aus Grundstückgewinnsteuern zurückzuführen. Auf der Einnahmeseite aber wird es vermutlich anders aussehen. Da werden wir bestimmt Steuerausfälle haben. Allerdings kann ich noch nichts konkret dazu sagen, weil uns die Rechnung noch nicht vorliegt. Haben Sie keine schlaflosen Nächte? In der Nachbargemeinde Dietlikon sind ja die finanziellen Aussichten alles andere als rosig (der Kurier berichtete). Die Situation hat nicht nur mit Corona zu tun, und sie macht natürlich auch uns Sorgen. Denn auch wir haben zwei gute juristische Steuerzahler verloren. Zudem wird die Unternehmenssteuerreform Auswirkungen zeigen – wir werden auch durch sie weniger Steuereinnahmen haben. Obendrauf kommen die Auswirkungen der Corona-Krise, bei der wir nicht wissen, wie stark sie sich bei Firmen und Privaten bemerkbar machen werden. Insofern sind die Finanzen auch bei uns ein grosses Thema. Im Februar haben wir mit dem Gemeinderat eine grosse Sitzung, an der wir uns mit einer zusätzlichen Prüfung des Budgets befassen werden, sowie mit der Frage von Leistungsanpassungen. Wie geht es den Gastrobetrieben in der Gemeinde? Ich habe wenig Konkretes gehört aus dieser Branche, aber es ist offensichtlich, dass sie besonders leidet. Diese Betriebe stecken in einer sehr schwierigen Situation. Gleichzeitig habe ich viele als äusserst innovativ erlebt in diesen Krisenzeiten. Als sie schliessen mussten, haben viele von ihnen Take-Aways aufgemacht, die von der Bevölkerung rege genutzt werden. Eingespieltes Gemeinderat-Team: Marlis Dürst «Für uns als Gemeinde ist es selbstverständlich, dass wir die einheimische Gastronomie berücksichtigen.» Marlis Dürst Florierende Gastronomiebetriebe tragen auch zur Standortförderung bei. Gibt es vonseiten Ihrer Gemeinde Bestrebungen, Betrieben in Not zu helfen? Für uns als Gemeinde ist es selbstverständlich, dass wir die einheimische Gastronomie berücksichtigen, wenn wir zum Beispiel ein Geschäftsessen haben. Wenn wir Blumen brauchen, kaufen wir diese bei unseren Betrieben. Nicht nur die Restaurants sind ja von der Situation betroffen, sondern unter anderem auch Gärtnereien, die plötzlich auf ihren Produkten sitzen blieben. Als bekannt wurde, dass Coca Cola Stellen abbaut und sparen muss, stand Brüttisellen im Herbst durch die Berichterstattung in der Schweizer Presse plötzlich schweizweit im Rampenlicht. Wie ist es Ihnen ergangen, als Sie von diesen Massnahmen erfahren haben? Da wir ein gutes Verhältnis mit der Firma haben, hat die Gemeinde schon vor der offiziellen Ankündigung in den Medien von diesen Massnahmen erfahren. Trotzdem macht es einen betroffen. Ich konnte mir zuerst nicht vorstellen, dass auch ein solch grosser Getränkehersteller von den Auswirkungen der Corona-Krise betroffen ist. Allerdings schrieb die Firma ja auch, dass nicht nur Corona schuld ist an dieser Situation. Schön ist das natürlich nicht, erst recht nicht, wenn es die eigene Gemeinde betrifft. Denn das kann arbeitslose Personen zur Folge haben und das Steuersubstrat sinkt.

Kurier Nr. 2 14.1.2021 Dorfspiegel Wangen-Brüttisellen 3 (l.) und Heidi Duttweiler. (Foto zvg) Dagegen sind Sie machtlos. Ja, aber das ist eine Firmensache. An der Gemeindeversammlung im Dezember wurde in Zusammenhang mit dem Budget noch einmal explizit darauf hingewiesen, dass zwei gute Steuerzahler aus der Gemeinde weggezogen sind. Mit welchen Mitteln geben Sie Gegensteuer, um weitere Abgänge zu verhindern? Zum einen ist es normal, dass eine Firma auch mal wegzieht. In einem der erwähnten Fälle hat zudem eine Fusion stattgefunden, und sie mussten sich für einen Standort entscheiden. Wir planen aber ein Standortförderungskonzept, mit dem wir Wangen-Brüttisellen langfristig als ausgezeichneten Standort festigen und verkaufen wollen. Dafür braucht es aber auch genügend Gewerbefläche. Wie fördern Sie diese? Durch Verdichtung, Um- und Aufzonungen. An einer Gemeindeversammlung kam ein Hilferuf aus der Schule. Am Ende wurde zusätzliches Geld für Klassenassistenzen gesprochen. Wie sind Sie mit dem Ausgang der Abstimmung zufrieden? Nun, als Behörde ist man immer im Clinch. Einerseits versteht man solche Forderungen. Auf der anderen Seite soll man sparen, damit der Steuerfuss nicht erhöht werden muss. Es ist ein Entscheid der Bevölkerung, so funktioniert unsere Demokratie. Ich versuchte den Anwesenden zu zeigen, was eine solche Ausgabe heisst. Dabei handelt es sich immerhin um ein halbes Steuerprozent. Was haben Sie 2020 aus der Schule gehört? Ich hatte immer wieder Kontakt mit Leuten, die mir aus der Schule erzählten, auch im Familienkreis. Ich bin persönlich froh, dass ich keine Schulkinder mehr habe. Denn Homeschooling ist sehr anstrengend, besonders, wenn man mehr als ein Kind hat. Man muss dafür sorgen, dass sie den ganzen Stoff mitbekommen und ihre Aufgaben auch wirklich machen. Man musste lernen, mit den Onlinemedien umzugehen. Für viele Familien war das eine sehr strenge Zeit. Zurück zur Politik. An der vorletzten Gemeindeversammlung im November wurde die Gemeindeordnung angepasst. Sind Sie mit dem Ausgang der Debatte zufrieden? Es ging an der GV darum, die vom Gemeinderat vorgelegte revidierte Gemeindeordnung zu diskutieren. An der GV haben wir das Geschäft vorberaten, zuhanden der Urnenabstimmung am 7. März 2021. Der einzige Antrag, der gestellt wurde, war der Wunsch, dass die Finanzkompetenzen der Gemeindeversammlung weniger erhöht werden. Der Antrag wurde aber abgelehnt und am Ende geht das Geschäft nun so an die Urne, wie es der Gemeinderat vorgeschlagen hat. Auch das ist gelebte Demokratie und ich finde es gut, dass die Bevölkerung mitreden kann. Wie gut bringt sich denn die Bevölkerung in Ihrer Gemeinde an der GV Ihrer Meinung nach ein? Ich wünschte mir, dass etwas mehr Stimmberechtigte an den Gemeindeversammlungen teilnehmen würden. Letztes Jahr war diesbezüglich aber kein Referenzjahr. Bedingt durch Corona hatten wir mit Ausnahme der Dezember-GV sehr wenig Teilnehmende. Aber immer wieder finden Debatten statt. Selten sind sie aber so kontrovers wie an der letzten GV. Man könnte sich viel stärker einbringen, doch das ist der Bevölkerung offenbar nicht bewusst. An der letzten GV im Dezember kamen viele Stimmberechtigte nur wegen einem Thema, der Finanzierung der Schulassistenzen, und sie haben ihr Ziel erreicht. Vielleicht haben sie dabei gemerkt, dass sie sich durchaus einbringen können, auch bei anderen Themen. Ist die Form der Gemeindeversammlung, die es jedem erlaubt, für sein Anliegen möglichst viele Stimmberechtigte zu mobilisieren, Ihrer Meinung nach noch zeitgemäss? Nun, wir haben gar keine andere Möglichkeit. Denn im Gemeindegesetz steht ganz klar, dass die GV die richtige Form für die Gemeinde darstellt, wenn sie keine Parlamentsgemeinde ist. Solange uns das Gesetz diese Form der Versammlung vorschreibt, können wir dagegen nichts unternehmen. Wollte man daran etwas ändern, wäre das ein langer politischer Prozess. Das ist bei uns jedoch kein grosses Thema. Allerdings wurde die Frage nach einer elektronischen Stimmabgabe von Einzelpersonen, unter anderem von Personen, die am Abend berufsbedingt nicht an die GV kommen können, auch schon gestellt. Oder von denjenigen, die – wie in diesem Jahr – Corona-bedingt nicht an die Versammlung kommen mochten oder durften. Werfen wir einen Blick auf die Kultur, die dieses Jahr darben musste. Ich bin Vorstandsmitglied des Kultur-Kreises, der im Auftrag der Gemeinde die kulturellen Veranstaltungen organisiert. Da bekam ich das Ganze hautnah mit. Finanziell ist der Kultur-Kreis zum Glück nicht massiv betroffen von der Situation. Man musste zwar Anlässe und den Künstlern absagen und das war aufwändig. Schlimm ist es aber vor allem für die Künstler, denen die Gagen wegfielen. Darum haben wir ihnen einen Teil des Betrags bezahlt. Eine solche Absage hat natürlich auch Folgen für Dritte, wie Cateringunternehmen oder, bei den Sternennächten, die Wirtefamilie. Ich habe es sehr bedauert, dass die meisten kulturellen Anlässe ausgefallen sind, und damit für die Einwohner der Gemeinde die Möglichkeit, sich zu treffen und sie zu geniessen, weggefallen ist. Ein Lichtblick gab es im September, als die Kunstschaffenden der Gemeinde im Dorfkern von Wangen ihre Türen für ein Wochenende für die Bevölkerung öffnen durften. Mit welchen Gefühlen blicken Sie in die kulturelle Zukunft der Gemeinde? Der Optimismus ist da. Wir sind bereits am Planen, das Halbjahresprogramm ist veröffentlicht. Allerdings wurden wir inzwischen von der Realität eingeholt und müssen den ersten Anlass im Januar schon wieder absagen. Er fällt in die Zeit, in der man noch keine Veranstaltungen durchführen darf. Das tut uns extrem leid. Aber sobald es möglich ist, werden wir wieder Anlässe organisieren. Allfällige Absagen und Ausfälle können wir momentan finanziell noch verkraften. Was einem fehlt, merkt man oft erst, wenn man es nicht mehr hat. Was bedeutet Ihnen Kultur? Für mich ist sie das Salz in der Suppe und gehört zu den Freuden im Leben. Das fällt nun weg, mit der Möglichkeit, zusammen mit anderen Menschen etwas zu erleben. Dass dies momentan nicht mehr «Ich wünsche der Bevölkerung Optimismus und Lebensfreude – und die Überzeugung, dass wieder bessere Zeiten kommen!» möglich ist, ist sehr schade, auch für das gesellschaftliche Leben der Gemeinde. Möglich war dafür die Verleihung der Freiwilligen-Awards in diesem Jahr. Haben Sie die Gewinner gekannt? Wir mussten die Verleihung wegen der Pandemie vom April in den September verschieben. Es war uns enorm wichtig, diesen Anlass Verleihung der Freiwilligen-Awards (Marlis Dürst, Mitte.) (Foto zvg) Marlis Dürst

Gemeindezeitung Kurier